Gedanken zum Kriegsende

Erinnerungstafel Anna Wahlrab

Am 70. Jahrestag des Kriegsendes hatte die SPD Schwaig zu einer Gedenkfeier eingeladen.

Treffpunkt war der Behringersdorfer Friedhof am Grabstein Anna Wahlrabs, die noch kurz vor Kriegsende durch die Nationalsozialisten erschossen wurde.
Hier hielt Schwaigs Altbürgermeister und Bezirksrat a.D. Fritz Körber eine beeindruckende Rede unter der Überschrift

"Erinnerungsarbeit ist Friedensarbeit für die Zukunft".

Körber wies darauf hin, dass die heutige Jugend das Kriegsende und die Nachkriegszeit nur aus Erzählungen kenne und die selbst erlebte Zeit als selbstverständlich ansehe. Man müsse sich aber stets vor Augen halten, wozu Menschen fähig seien, wenn sie zu Rassenhass aufgestachelt werden, wenn sie glauben, man dürfe "Untermenschen" unterdrücken und sogar töten. Den heutigen Generationen müsse man überliefern, was geschehen sei. Die Fragen, wieso Hitler die Macht ergreifen konnte, wieso er ein ganzes Volk verführen konnte und warum es nicht gelang, die braune Diktatur aus eigener Kraft abzuschütteln, werden gestellt und können nicht wirklich zufriedenstellend beantwortet werden.

Der militärischen Kapitulation sei die moralische, zivilisatorische Kapitulation 12 Jahre früher vorausgegangen. Die eigentliche Niederlage war am Beginn der NS-Zeit und nicht erst an ihrem Ende. Es habe nach der Machtergreifung keine Woche gedauert, bis die Versammlungs- und Pressefreiheit eingeschränkt wurde. Bis zum Jahresende waren bereits 50 Konzentrationslager errichtet gewesen. Bücher wurden öffentlich verbrannt und die Nürnberger Rassegesetze setzten den Holocaust in Gang und bereiteten die Krematorien in den Konzentrationslagern vor.

Konnte man nach den Bränden der Synagogen, den Plünderungen, der Stigmatisierung mit dem Judenstern, dem Entzug von Rechten und der unaufhörlichen Schändung menschlicher Würde noch arglos sein? Wer Augen und Ohren aufmachte, dem konnte auch nicht entgehen, dass Deportationszüge rollten.

Inzwischen sind mehr als siebzig Jahre vergangen, in denen sich die Welt auf fast unvorstellbare Weise veränderte. Aber die Erinnerung an 1945 sei davon nicht ausgelöscht worden. Gedenktage wie der 8. Mai sollen dazu beitragen, uns immun zu machen gegen Rassenwahn und Überlegenheitsdünkel, gegen rechtsradikale Verführungskünste und scheinbar einfache politische Lösungen, gegen blinden Gehorsam und gewissenlose Pflichterfüllung.

Millionen kamen ums Leben in den Schützengräben, im Bombenhagel, in den Gaskammern, bei der Vertreibung und Flucht in vielen Teilen der Welt. Es gab aber auch Schicksalstage und erinnerungswürdige Ereignisse in der eigenen Gemeinde. In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938, als in Deutschland die Synagogen brannten, zerbrach bei der Familie Reitzenstein im Ortsteil Behringersdorf weitaus mehr als nur Glas, Porzellan und Kristall. Die zahlreichen Luftangriffe auf Schwaig und Behringersdorf bedeuteten, dass übernächtigte Bürger mit ihren Kindern zwischen brennenden Ruinen ums nackte Überleben rannten. Körber erinnerte auch an den mutigen Bahnhofsvorsteher Freiberger in Behringersdorf, der einen brennenden und explodierenden Munitionszug abkoppelte und durch die dabei erlittenen Verletzungen wenige Tage später verstarb. Er erinnerte an die Behelfsheime und die vielen Fliegergeschädigten, die eine neue Heimstätte suchten.

Besonders tragisch war auch das Schicksal von Anna Wahlrab, der Kolonialwarenhändlerin aus Behringersdorf. Sie wurde beschuldigt, durch böswillige Kritik gegenüber dem Führer die Kampfkraft des Volkes untergraben und dem Feind dem Sieg gewünscht zu haben. Sie wurde verhaftet, durch ein Standgerichtsurteil, das nie jemand gesehen hat, zum Tode verurteilt und am 10.04.1945, nur wenige Tage vor dem Kriegsende, erschossen.

Auch nach dem Krieg war der Tod zunächst noch schreckliche Alltäglichkeit. Sechs Wochen nach der Einnahme Nürnbergs durch die Amerikaner wurden in Schwaig an der "Steinernen Bank" neun Menschen ermordet. In den wenigen Akten, die aus dieser Zeit erhalten geblieben sind, finden sich keinerlei Hinweise auf dieses Verbrechen.

Den Luftkrieg gegen Städte mit den darin lebenden Frauen und Kindern brandmarkte Körber als Terror. Man müsse aber auch sehen, was der Bombardierung deutscher Städte vorausging, nämlich die Zerstörung anderer Städte, der "totale Krieg", umjubelt von hysterischen Massen im Berliner Sportpalast. Die Ruinen waren deshalb nur vordergründig die Folgen von Bombern, sondern das Ergebnis des im Wortsinn mörderischen Befehl Hitlers, "jeden Fußbreit Erde bis zum letzten Blutstropfen" zu verteidigen.

Es gibt immer wieder Diskussionen darüber, ob der 8. Mai 1945 für die Befreiung Deutschlands stehe oder ob es der Tag der Niederlage war. Für die Menschen damals bedeutete das Kriegsende zunächst Erleichterung und Freude, überlebt zu haben, aber auch Trauer um den Verlust geliebter Menschen. Befreit fühlte sich die kleine Schar von Hitler-Gegnern, sofern sie die Verfolgung nach dem Attentat vom 20. Juli 1944 überlebt hatten. Befreit fühlten sich auch die ins "Dritte Reich" verschleppten Kriegsgefangenen und Zwangsarbeiter und selbstverständlich die Überlebenden der Konzentrationslager. Jeder muss für sich selbst entscheiden, was dieser Tag für ihn bedeutet. Verordnen kann man dies nicht.

Fraktionsvorsitzende Jutta Hartmann legte ein Blumengesteck auf dem Grabstein von Anna Wahlrab nieder, stellvertretend für alle Opfer des Nationalsozialismus.
Nach der offiziellen Veranstaltung gab es noch intensive Gespräche, auch mit Besuchern des Friedhof, die sich spontan als Zuhörer angeschlossen hatten. Besonders betroffen waren natürlich diejenigen, die als Kinder Anna Wahlrab noch persönlich erlebt hatten.